Am 8. Januar 2025 wurde der Neunte Altersbericht der Bundesregierung mit dem Titel „Alt werden in Deutschland – Vielfalt der Potenziale und Ungleichheit der Teilhabechancen“ veröffentlicht.
Im Mittelpunkt steht die Unterschiedlichkeit der Lebenssituationen älterer Menschen.
In jeder Legislaturperiode einer Bundesregierung wird ein Altenbericht von einer Kommission aus Fachleuten aus der Wissenschaft erarbeitet. Bereits die vergangenen Altenberichte haben zu einer öffentlichen Diskussion zum Thema Alter geführt und viel Wissen rund um Leben im Alter vermittelt und damit dazu beigetragen, neben Risiken vor allem Potenziale in diesem 3. Lebensabschnitt zu erkennen und anzuerkennen.
Der 9. Altenbericht hat zum Schwerpunkt die Teilhabechancen im Alter, die von vielfältigen Faktoren abhängig sind.
Das Leitbild für den Bericht der Neunten Altersberichtskommission ist die selbstbestimmte, gleichberechtigte und mitverantwortliche Teilhabe aller älteren Menschen in Deutschland.
- Teilhabe ist selbstbestimmt, wenn Menschen ihr Leben aktiv und nach den eigenen Vorstellungen gestalten können.
- Teilhabe ist gleichberechtigt, wenn Menschen aus allen gesellschaftlichen Gruppen vergleichbare Möglichkeiten zur Verwirklichung ihrer Ziele haben.
- Und Teilhabe ist mitverantwortlich, wenn Menschen ihren Beitrag zum Gelingen von Gesellschaft leisten.
Die Neunte Altersberichtskommission hat zentrale Lebensbereiche in ihrem Bericht genauer betrachtet, eine unterschiedliche Verteilung von Teilhabechancen identifiziert und Empfehlungen formuliert:
Die materielle Lage
Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen:
- Um schon während des Erwerbslebens Altersarmut proaktiv zu verhindern.
- In Zeiten des demografischen Wandels und zunehmenden Fachkräftemangels sollten der Gesetzgeber und die Betriebe die Rahmenbedingungen des Erwerbslebens so gestalten, dass sie unterschiedlichen Lebenssituationen besser gerecht werden.
- Im Mittelpunkt sollte dabeistehen, möglichst durchgängige Erwerbs- und Vorsorgebiografien zu fördern und zu ermöglichen.
- Sichere Arbeitsplätze mit individuell ausreichenden Erwerbseinkommen führen in der Regel auch zu einem auskömmlichen Einkommen im Alter.
- um „verdeckte“ Armut sowie Überschuldungssituationen im Alter zu bekämpfen und zu vermeiden. Bund, Länder und örtliche Sozialhilfeträger sollten Barrieren wie Unwissenheit und Scham durch verbesserte Informationen sowie durch eine gezielte De-Stigmatisierung des Grundsicherungsbezugs abbauen.
- Der Zugang zu Transfer- und Beratungsleistungen – auch zur sozialen Schuldner*innenberatung – sollte erleichtert werden.
Erwerbsarbeit
Eine alternsgerechte Arbeitsgestaltung, Weiterbildungsangebote und flexible Arbeitsmodelle können dazu beitragen, dass ältere Beschäftigte länger gesund, motiviert und leistungsfähig am Erwerbsleben teilnehmen können:
- Gerade in Berufen mit hohen körperlichen und psychischen Belastungen ist eine lebenslauforientierte und ganzheitliche Beschäftigungs- und Personalpolitik wichtig.
- Es gilt, gelungene Beispiele für eine solche Beschäftigungs- und Personalpolitik bekannt zu machen und zu verbreiten.
- Ebenso sollte eine Wiederbeschäftigung älterer Arbeitnehmer*innen nach Erwerbsunterbrechungen oder Tätigkeitswechseln erleichtert werden.
- Hier könnten Maßnahmen zur beruflichen Wiedereingliederung mit Anreizstrukturen und engmaschiger Beratung für Beschäftigte und für Betriebe hilfreich sein.
- Insgesamt sollte der Grundsatz „Prävention vor Rehabilitation vor Rente“ gestärkt und eingehalten werden.
- Eine gesundheitsbedingte Frühverrentungen kann nicht vollständig vermieden werden. Für betroffene Beschäftigte ist eine sozial abgefederte Option für einen frühen und flexibel gestalteten Renteneintritt zu entwickeln.
- Förderlich wäre in diesem Zusammenhang, wenn älteren Beschäftigten ein Recht auf Reduzierung der Arbeitszeit in mehreren Schritten bis zur Rente gewährt würde.
Sorgearbeit
Es ist für viele Menschen herausfordernd, gleichzeitig erwerbstätig zu sein und Sorgearbeit für ältere An- und Zugehörige zu leisten, daher:
- Ist die Familienpflegezeit weiterzuentwickeln: Wenn eine an- und zugehörige Person ihre Erwerbstätigkeit zeitweise aufgibt, um eine andere Person zu pflegen, sollte der Wegfall des Erwerbseinkommens zusätzlich zu den Leistungen der Pflegeversicherung kompensiert werden.
- Die Familienpflegezeit und die Pflegezeit sollten mit einer Lohnersatzleistung aufgewertet werden.
- In einer älter werdenden und vielfältigen Gesellschaft sollte deshalb möglichst viel Unterstützungspotenzial auch über verwandtschaftliche Beziehungen hinaus mobilisiert werden.
- Die bereits bestehenden Gesetze zur Pflegezeit und Familienpflegezeit sollten deshalb auch auf nicht-verwandtschaftliche Beziehungen erweitert werden.
- Das Vorhaben der Bundesregierung, die Rolle von Wahl- und Verantwortungsgemeinschaften gesetzlich neu zu rahmen, wird ausdrücklich begrüßt.
- Aufforderung von Bund, Länder und Kommunen, Maßnahmen zur Unterstützung und Entlastung pflegender An- und Zugehöriger (etwa Beratungsangebote, Kurzzeitpflege oder Angebote zur Gesundheitsförderung und Prävention) auszubauen.
- Unterstützungsangebote für Pflegende sowie für Gepflegte sollten für unterschiedliche spezifische Bedürfnisse entwickelt und angeboten werden.
- Zudem könnte ein individuell abgestimmter „Hilfe-Mix“ aus professionellen Dienstleistern sowie Unterstützung aus Familie, Nachbarschaft und Ehrenamt dazu beitragen, dass Sorgetätigkeiten von An- und Zugehörigen nicht über das gewünschte Maß hinaus gehen müssen und damit insgesamt die Pflege qualitativ verbessert werden kann.
Gesundheit und Versorgung
Die Bundesregierung wird dazu aufgefordert:
- einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, der für alle älteren Menschen eine bedarfsgerechte, diskriminierungsfreie und qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung und Pflege gewährleistet.
- Insbesondere in peripheren ländlichen und in benachteiligten städtischen Regionen sollten Versorgungsstrukturen gestärkt und Unterversorgung abgebaut werden.
- Die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen sollte stärker in die Pflicht genommen werden, flächendeckend in ganz Deutschland eine ausreichende Gesundheitsversorgung sicherzustellen.
- Zugehende Unterstützungsangebote und präventive Hausbesuche können den Zugang zu medizinischen und pflegerischen Leistungen sowie zu sozialen und gesundheitsförderlichen Einrichtungen und Netzwerken erleichtern und sollten aus Sicht der Kommission deshalb flächendeckend etabliert werden.
- Um Pflegeberufe sowie Gesundheits- und Sozialberufe attraktiver zu machen, sollten Bund und Länder in Kooperation mit den Tarifpartnern Arbeitsbedingungen verbessern, Qualifizierungswege flexibilisieren und die interprofessionale Zusammenarbeit fördern.
- Die Konzertierte Aktion Pflege (KAP) sollte konsequent weiterverfolgt und umgesetzt werden.
- Möglichkeiten der Kommunen substanziell erweitern, um die Strukturen der Gesundheits- und Pflegeversorgung vor Ort bedarfsgerecht und integriert zu gestalten.
- Hierfür sollten Bund und Länder sowohl gesetzliche Zuständigkeiten und Kompetenzen als auch finanzielle Ressourcen auf die kommunale Ebene übertragen.
Wohnen
Maßnahmen, um eine bedarfsangemessene Versorgung mit barrierereduziertem Wohnraum zu gewährleisten:
- Das KfW-Programm „Altersgerecht umbauen“ sollte vor allem in seiner Zuschussvariante weitergeführt werden.
- Für immer mehr ältere Menschen wird es immer schwieriger, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohnung zu bezahlen.
- Des Weiteren sollte der barrierereduzierende Umbau von Wohnungen gefördert und es sollten Finanzierungsmodelle entwickelt werden, bei denen sich außer den Bewohner*innen der Wohnungen auch andere Akteure (u. a. Bund, Länder, Kommunen, Pflegekassen und Verbände von Wohnungsgesellschaften und Wohnungsunternehmen) an den Kosten beteiligen.
- Außerdem sollten flächendeckend Wohnberatungsstellen bereitgestellt werden.
Partizipation und soziale Einbindung
Den Kommunen wird empfohlen:
- die nachbarschaftliche Integration, den sozialen Zusammenhalt und die Mobilität älterer Menschen zu fördern.
- Quartiersorientierte Projekte wie zum Beispiel inklusive Begegnungsstätten sind hierbei sinnvoll.
- Generell tragen gesundheitsförderlich gestaltete Sozialräume dazu bei, die Lebensqualität älterer Menschen zu verbessern sowie Pflegebedürftigkeit zu verhindern, zu vermindern oder hinauszuzögern.
- Kommunen sollten im Rahmen von Quartiersentwicklung die im Sozialraum vorhandenen infrastrukturellen Ressourcen mobilisieren und so organisieren, dass die Versorgung älterer Menschen mit hausmeisterlichen, hauswirtschaftlichen und pflegerischen Dienstleistungen verbessert werden kann.
Im 9. Altenbericht wird der Begriff Ageismus eingeführt:
- Ageismus tritt immer dann auf, wenn Menschen aufgrund ihres Alters auf bestimmte Weise bewertet oder behandelt werden, obwohl die entsprechende Beurteilung oder Behandlung nicht gerechtfertigt ist.
- Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe zu haben setzt voraus, dass Menschen bei der Gestaltung ihres Lebens Handlungsoptionen haben und ihre Vorstellungen von einem guten Leben verwirklichen können.
- Ageismus schränkt Handlungsmöglichkeiten und damit die Teilhabechancen vieler älterer Menschen ein und sollte deshalb verhindert und bekämpft werden.
Die Kommission gibt konkrete Empfehlungen für eine integrierte Politik für ein gutes Leben im Alter:
- In der Senior*innenpolitik wurde in den 1990er und 2000er Jahren ein paradigmatischer Wandel von einem defizit- und fürsorgeorientierten Ansatz hin zu einer teilhabeorientierten Ausrichtung vollzogen.
- Aktuell gilt es, Altersbilder zu differenzieren, Ressourcen älterer Menschen zu mobilisieren und eine selbstbestimmte Lebensführung bis ins hohe Alter zu fördern.
- Für eine solche befähigende Senior*innenpolitik braucht es geeignete rechtliche und institutionelle Rahmenbedingungen.
- Konkret wird festgestellt: „Generell sollten die Länder die Kommunen stärker unterstützen: Wer die selbstbestimmte Teilhabe älterer Menschen fördern will, muss die Gestaltungsmöglichkeiten der Kommunen stärken“.
Den gesamten Bericht finden Sie HIER.