Diskussionsimpuls zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung

Zurück

Der Deutschen Evangelischen Verband für Altenarbeit und Pflege e. V. (DEVAP) und der Verbandes katholischer Altenhilfe in Deutschland e. V. (VKAD) haben gemeinsam Vorschläge zur Reform
einer solidarisch bezahlbaren, zivilgesellschaftlich verorteten Pflege entwickelt und stoßen damit einen Dialog auf allen Ebenen an.

Die Kernaussagen werden von den Autoren in den 6 Eckpunkten formuliert:

1. Echte Pflegeteilkaskoversicherung umsetzen:
Obwohl die Pflegeversicherung in den letzten Jahren finanziell besser ausgestattet wurde, können sich zu viele pflegebedürftige Menschen in Deutschland die notwendige Pflege – vor allem im stationären Bereich – nicht leisten und sind auf Sozialhilfe angewiesen. Dies widerspricht den ursprünglichen Zielen der Pflegeversicherung, die verhindern sollte, dass Pflegebedürftigkeit zum Armutsrisiko wird. Deshalb muss die „Blümsche Pflegeteilversicherung“ aus den 90er Jahren zu einer echten Pflegeteilkaskoversicherung weiterentwickelt werden: Die Pflegebedürftigen zahlen monatlich einen festen Eigenanteil für die pflegerischen Leistungen (sog. Sockelbetrag), die darüber hinaus gehenden Kosten werden von der Pflegeversicherung getragen. Unabhängig von Einkommen und Vermögen wird es hierdurch für alle Bürger möglich, das eigene pflegebedingte Finanzierungsrisiko zu kalkulieren und Vorsorge zu treffen, z.B. durch eine private Zusatzversicherung.

2. Sektorengrenzen konsequent abbauen:
Die Grenzen zwischen der ambulanten, teilstationären und stationären Pflege müssen endgültig überwunden werden. Pflegebedürftige Menschen haben das Recht auf gesellschaftliche Partizipation und eine individuelle, möglichst selbstbestimmte Lebensführung unabhängig von ihrem Wohnort, ihrem Alter oder ihren Beeinträchtigungen. Voraussetzung hierfür ist eine Angleichung des Leistungserbringungsrahmens in allen Bereichen. Im stationären Sektor wird die Finanzierungsverantwortung für die Behandlungspflege in das SGB V zurückgeführt. Die Pflegeversicherung finanziert alle Maßnahmen der Grundpflege und der Betreuung, während die Krankenversicherung alle 2 Rothgang, H., Kalwitzki, T.: Alternative Ausgestaltung der Pflegeversicherung – Abbau der Sektorengrenzen und bedarfsgerechte Leistungsstruktur, 2017, Studie im Auftrag der Initiative Pro-Pflegereform 3 Maßnahmen der Behandlungspflege übernimmt. Zusätzlich tragen die Pflegebedürftigen selbst – je nach Wohnform – alle „Haushaltskosten“, die für Unterkunft, Verpflegung und Miete entstehen. In Folge dieser Neuordnung entfällt die Trennlinie zwischen „ambulant und stationär“. Freiraum für innovative Formen einer modularisierten Leistungserbringung entsteht.

3. Zivilgesellschaft stärker einbinden:
Die Herausforderungen in der Pflege können angesichts der demografischen Umwälzungen zukünftig nicht allein durch professionelle Dienste bewältigt werden. Durch ein verbindlich finanziertes Quartiersmanagement in Form von wohnortnaher Beratung, Koordination und Moderation im Dorf oder Stadtteil muss es gelingen, Angehörige, freiwillig Engagierte und die Zivilgesellschaft mit ihren vielfältigen Angeboten stärker einzubinden. Der Abbau der Sektorengrenzen und die Neuordnung der Leistungserbringung öffnen den Weg zu einer Modularisierung der Leistungen und schaffen die Möglichkeit, tragfähige Formen zur dringend erforderlichen stärkeren Einbindung der Angehörigenpflege, auch im (vormals) stationären Wohnen zu entwickeln. Diakonie und Caritas werden ihre Erfahrungen als zivilgesellschaftliche Akteure hierzu gern und mit Nachdruck einbringen.

4. Kommunale Pflegeinfrastruktur steuern und fördern:
Wer einen ausgewogenen, zukunftsfähigen und am Bedarf des örtlichen Gemeinwesens orientierten Ausbau pflegerischer Infrastruktur für ältere Menschen möchte, kommt nicht umhin, genau dies zur kommunalen Pflichtaufgabe zu machen. Durch die vollständige Rückführung der Finanzierung der Behandlungspflege in das SGB V und die Einführung einheitlicher Sockelbeträge für alle Versorgungsbereiche werden die Kommunen als Sozialhilfeträger tendenziell entlastet. Damit eröffnet sich der finanzielle Spielraum für eine subsidiäre Verantwortungsübernahme beim Ausbau der Pflegeinfrastruktur. Das Vorhaben der Bundesregierung, die Möglichkeiten der Kommunen bei der Gestaltung der pflegerischen Infrastruktur vor Ort zu erweitern, ist daher unbedingt erforderlich und zu begrüßen.

5. Pflegemarkt am Gemeinwohl orientieren:
Neben den frei-gemeinnützigen und kommunalen Anbietern agieren auch privat-gewerbliche, renditeorientierte Anbieter auf einem gemeinsam Pflegemarkt. Ein Wettbewerb zwischen allen Anbietern ist wünschenswert und sinnvoll, sofern es um die Qualität der erbrachten Dienstleistungen geht. Pflegeeinrichtungen dürfen jedoch nicht weiter zum Gegenstand eines forcierten Preiswettbewerbs und einer zunehmenden Renditeorientierung werden. Dies geht am Ende nicht nur zu Lasten der Qualität und der Lohnstrukturen, sondern führt darüber hinaus zu einer Schwächung dringend erforderlicher Maßnahmen zur Personalrekrutierung und -bindung. Nach Ansicht von DEVAP und VKAD muss daher die bereits im Grundgesetz und in den Länderverfassungen geforderte primäre Ausrichtung des wirtschaftlichen Handelns am Gemeinwohl in den Vordergrund treten.

6. Pflegeversicherung sozial gerecht gestalten:
In der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung wird derzeit ausschließlich das Arbeitseinkommen als Grundlage zur Beitragsbemessung herangezogen. Weitere Einkommensarten, wie Erträge aus Vermögen, Vermietung oder Verpachtung bleiben hingegen unberücksichtigt. DEVAP und VKAD fordern, die hierdurch entstehenden Gerechtigkeitslücken zu schließen und befürworten daher eine Heranziehung sämtlicher Einkommensarten auf Basis des steuerlichen Einkommensbegriffs. Darüber hinaus setzen sich DEVAP und VKAD dafür ein, die derzeitige Zweiteilung aus sozialer und privater Pflegeversicherung zu überwinden, um das Solidarprinzip und die Gerechtigkeit in diesem sozialen Sicherungssystem zu stärken.

Weitere Informationen hier (s. Anlage)

soleo* wird diesen Dialog aufnehmen. Im Rahmen eines Dialog-Forums werden Vertreter der Initiatoren ihre Position darlegen und sich der Diskussion stellen.
Hierzu wir soleo* in Kürze Akteure aus der Sozial- und Gesundheitswirtschaft einladen, um die Aspekte zu erörtern, die sich speziell für den Betrieb und Erhalt von
Sozialimmobilien aus den Reformvorschlägen ergeben.