Wohnen und Pflege stambulant – flächendeckend für alle Menschen?

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Bundesminister Karl Lauterbach will die stambulante Versorgung gesetzlich verankern. Das Modell vereinbart die Möglichkeit für Menschen mit Pflegebedarf in dafür ausgestatteten Wohnungen eine Mischung aus ambulanter und stationärer Pflege zu wählen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür sollen mit einer Pflegereform geschaffen werden. Dann bestünde auch die Möglichkeit, diese Versorgung in „Seniorenresidenzen“ bzw. „Servicewohnen“ umzusetzen.

Seit 2016 wird ein stambulantes Konzept im Rahmen eines Pilotprojekts im Haus „Rheinaue“ in Wyhl unter Federführung der AOK Baden-Württemberg und des Sozialministeriums Baden-Württemberg entwickelt und umgesetzt. Der Geschäftsführer des Betreibers BeneVit, Kaspar Pfister sagt „das ist ein wichtiger und richtiger Schritt, ein Perspektivwechsel in der Dienstleistung, der für die Pflegebedürftigen, ihre Angehörigen und die Mitarbeitenden mehr Freiheit, mehr Autonomie, mehr Verantwortung und mehr Lebensqualität bedeutet.“

Das hier umgesetzte Konzept baut auf dem Hausgemeinschaftskonzept des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA) auf und ermöglicht den Bewohnenden und Angehörigen die Kombination von unterschiedlichsten Wahl-Leistungen bei gleichzeitig hoher Versorgungssicherheit. Christian Heerdt vom KDA fordert „innovative und vor allem an die Bedürfnisse der Menschen orientierte Wohn- und Versorgungsangebote brauchen ein flexibles Leistungs- und Ordnungsrecht. Deshalb geht es bei der anstehenden Gesetzesreform nicht darum, eine weitere zum Stambulant-Modell passende Säule einzuziehen, sondern den rechtlichen Rahmen dafür zu schaffen, die Vielfalt der Wohnformen im Spektrum von ambulant bis stationär möglich zu machen und die künstlichen Grenzen aufzuheben.“

Bundesminister Karl Lauterbach sieht ein hohes Interesse an stambulanter Versorgung. Viele ältere Menschen und auch ihre pflegenden Angehörigen wünschen sich dieses Konzept, bei dem die Menschen die Wahlfreiheit haben, welche Hilfen sie ambulant, welche stationär und welche von den pflegenden An- und Zugehörigen übernommen werden sollen.

Die Stimmen von Verbänden, Anbietern und der Wissenschaft sind dazu vielfältig und unterschiedlich.

Zum einen wird die Umsetzung bereits heute in ambulant betreuten Pflege-Wohngemeinschaften gesehen, wo eine Betreuung über 24 Stunden in der Regel vorgesehen ist, die individuell entsprechend den Wünschen und Anforderungen der Mieterschaft angepasst werden können. Da Pflege-Wohngemeinschaften in der Regel nicht mehr als 12 Mietparteien haben dürfen und in den meisten Bundesländern nicht mehr als zwei Wohngemeinschaften in einem Gebäude bzw. im unmittelbaren Umfeld verortet sein dürfen, sei es schwierig, diese wirtschaftlich zu betreiben.

Der Pflegewissenschaftler der Uni Bremen, Heinz Rothgang“ kritisiert, die Idee sei „gut gemeint, aber im Ergebnis schädlich und sogar gefährlich.“ Er schlägt vor, die Unterscheidung zwischen stationärer und ambulanter Pflege aufzuheben, denn „im Moment haben wir zwischen der ambulanten und stationären Pflege eine Grenze, an der es schon knirscht. Künftig haben wir zwei Grenzen, da wird es doppelt knirschen“ und eine Flut an juristischen Verfahren auslösen.

Nicht eine sektorenübergreifende, sondern eine sektorenfreie Versorgung sieht er als zielführende Lösung. Hier kann jeder Mensch wohnen „wo und wie ich will“. Die Pflege (punktuell oder umfassend) kommt davon unabhängig als Wahl-Leistung dazu und wird nach einheitlichen Regeln abgerechnet.

Dazu ist festzustellen, dass es einen sehr hohen Bedarf an barrierefreiem Wohnraum gibt, in dem Menschen auch mit Hilfebedarf angemessen wohnen, versorgt und gepflegt werden können.